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Christine Brendle
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20.06.2011
Seit dem 28.02.2003 waren
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Rezensionen - Unsere Welt
2050
Ein Verlag macht Schule - Schüler
machen ein Buch
von Christine Brendle (Hrsg.)
Sie grinst, denn sie ist von ihrer
"neu gewonnenen Unmenschlichkeit" begeistert, ja geradezu ergriffen. Ihre
Eltern waren damals entsetzt, als sie von ihrem Vorhaben erfuhren. Etwas
ungewohnt ist es ja schon, als ihre Zunge zum ersten Mal die neuen spitzen
Zähne spürt. Schmerzen hat sie keine. Da ist nur dieses Gefühl, dass ihr
Körper an unzähligen Stellen seine Form verändert hat. Der Eingriff ist
inzwischen Routine, denn nicht wenige folgen inzwischen diesem
Schönheitsideal, wenn auch aus anderen Gründen ...! Langsam werden ihr
unter Aufsicht eines Arztes alle Verbände abgenommen. Das Gehör würde sich
in den nächsten Tagen noch wesentlich verbessern, meint er. Ihre Hände
stecken noch in den "postoperativen Gelhandschuhen", bevor sie vom Arzt
geöffnet werden. Zunächst ist nichts Ungewöhnliches zu entdecken. Die
Nägel sind sogar noch etwas kürzer geschnitten als vorher. Doch als der
Arzt mit seinem Daumen zwischen Elle und Speiche drückt, fahren ihr
hellbraune Krallen aus den Fingerspitzen! Ihre Mutter darf dabei sein und
sie gerät in Verzückung. Sie bewundert die Schönheit ihrer Tochter, und
vor allem gefallen ihr die Schnurrhaare ...
"Kitty" ist eine von jenen Geschichten, die im wahsten Sinne des Wortes
unter die Haut gehen. Auf diesen wenigen Seiten (die das Potential für
einen Roman besitzen!) lässt Kristina Kesselring eine sehr eindringliche
Zukunftsvision entstehen. Diese wirkt keinesfalls statisch kühl, sondern
beängstigend realistisch. Kitty ist nicht nur technisch-utopische Fiktion,
sondern wirkt wie der winzige Ausschnitt einer "real existierenden"
Zukunft. Die Autorin beschreibt die Situation in einer natürlichen
Selbstverständlichkeit und über jeden Zweifel erhaben. Es scheint also gar
keine Geschichte zu sein, sondern Wahrheit in einer gar nicht mal so weit
entfernten Realität!
Einer überaus düsteren und beängstigenden Vision begegnen wir in "Morgen
bist du ein anderer", dem Gedicht von Dr. Klaus-Peter Walter. Da liegt es,
"das Ding". An Maschinen angeschlossen. Es lebt noch, das Gehirn in der
Salzlösung ...! Wer vermag sich dieses entsetzliche Grauen auch nur
annähernd vorstellen? Nichts hören, nichts sehen, nichts fühlen ... ja
nicht einmal schreien können? Nur noch "Sein" und einem wissenschaftlichen
Zweck dienlich sein?
Auch Rebecca Schick sieht mit Sorge in die Zukunft. Jede Individualität
wird durch Technologie vernichtet. Die durchschnittliche Lebenserwartung
steigt auf 115 Jahre. Unsere Nahrung wird von Computern zusammengestellt
und optimiert. Krankheiten treten eher selten auf. Wir sind alle topfit
... doch haben nichts mehr zu tun, da uns Maschinen alles abnehmen. Selbst
Reisen entfällt, weil man sich an jeden beliebigen Ort "beamen" lassen
kann. Den Menschen geht es "körperlich" gut, doch eigentlich sind sie in
so einer Welt komplett überflüssig. Es bleibt nur noch die systematische
Verblödung ...
...welche Stephanie Längl in ihrer Geschichte "85 Jahre Eis" auf die
Spitze treibt! Sean wacht nach 85 Jahren Kälteschlaf auf. Niemand scheint
im Labor zu sein. Er flüchtet, denn schnellstens möchte er in die
Zivilisation zurück. Doch eine solche scheint es nicht mehr zu geben.
Seine Stadt erstickt im Müll und die Bewohner in geistiger Umnachtung!
Noch negativer sieht Keith Petri mit "Wie wird es den Menschen im Jahr
2050 gehen" in die Zukunft ...
Auch die anderen Autorinnen und Autoren haben eine Menge zu bieten und
beschäftigen sich auf sehr kreative Art und Weise mit dem gegebenen Thema.
Manchmal mehr, manchmal weniger komplex. "Miteinander" von Brigitte Rippe
spendet Hoffnung auf eine positive Entwicklung, Gernot Erler weiß in
"Poesie 2050" über die künftige Bedeutung von Poesiealben zu berichten,
andere erzählen über die längst realisierte Stromerzeugung in der
afrikanischen Wüste, erklären was ein Internet-Psychiater ist, wie
Finnisch zur Weltsprache wurde oder stellen uns eine Oma vor, die ihrer
Enkelin beibringen will, was ein Buch ist!
Der Rezensent bedauert ausdrücklich, nicht jeder einzelnen Autorin und
jedem einzelnen Autor die notwendige Erwähnung schenken zu können. Doch
niemand geht in dieser außerordentlich lebendigen Anthologie unter, dem
gemeinschaftlichen Projekt von Verlegerin Christine Brendle und Lehrer
Bertram Weber sowie seinen 14 Schülern des Seminarkurses 2010 an der
Walter-Groz-Schule Ebingen. Unzählige Arbeitsstunden und viel Herzblut
haben die hochmotivierten Schülerinnen und Schüler schon in der
Planungsphase des Projektes investiert und waren somit von der Idee bis
zum fertigen Buch aktiv in den Entstehungsprozess eingebunden. So teilten
sie sich nicht nur Zuständigkeitsbereiche für Werbung/Akquisition, Texte
sowie Druck-Buchblock-Layout, sondern auch für Kalkulation und PR-Arbeit!
Schade nur, dass am Ende die Zeit nicht reichte, und somit einige Fehler,
typografische Schnitzer und ein doppelter Text ("Zukunftstraum" gibt es
gleich zweimal!) übersehen wurden. Allerspätestens hätte dies bei der
Kontrolle der letzten Korrekturfahnen kurz vor Drucklegung auffallen
müssen!
Diese zweifellos sehr unerfreulichen Tatsachen können mir aber das
Gesamtbild nicht wesentlich trüben. Aus Fehlern soll man ja bekanntlich
lernen, und die erste Auflage ist ja nicht die letzte Auflage! Ich würde
in diesem Fall den Spieß sogar umdrehen und aus der Not eine Tugend
machen, denn bevor die zweite Auflage erscheint, sollten sich alle
Büchernarren einmal überlegen, ob sie mit dem Kauf eines Buches aus der
ersten Auflage nicht eventuell ein wertvolles Unikat erwerben! Wer weiß,
was ein Sammler für die Erstausgabe von "Unsere Welt 2050" in vierzig
Jahren zahlen würde!
"Unsere Welt 2050" macht eines klar. Die Zukunft kann niemals bereist
werden. Expeditionen in diese Richtung werden immer theoretisch bleiben,
obwohl auch und gerade ich diese Gedankenexperimente immer wieder gerne
durchgespielt habe. Doch etwas, was noch nicht existiert, kann nicht
besucht werden. Die Zukunft ist noch nicht da, sie existiert noch nicht.
Es sind wir Menschen, die sie erst noch gestalten und bauen müssen, und
auf welch grundverschiedene Wege dies führen kann, zeigt dieses Buch.
Trotz unterschiedlichster Ansätze stehen die Arbeiten in einem
unsichtbaren Zusammenhang und bilden somit eine untrennbare Einheit. Sehr
deutlich werden Ängste, aber auch Hoffnungen der Autorinnen und Autoren.
Boris Palmer sieht es positiv. Der "grüne" Oberbürgermeister von Tübingen,
Sohn des legendären "Remstalrebells" Helmut Palmer, benötigt für seinen
Ausblick lediglich eine halbe Seite. Dennoch sind seine Worte für ein
Fazit in dieser Sache geradezu prädestiniert. 2050 würden ganz sicher sehr
viele Windräder auf der Schwäbischen Alb stehen. Autos gäbe es keine mehr
und die "Regionalstadtbahn" würde im Zehn-Minuten-Takt fahren. Überall an
den Bahnhöfen würden Leih-Farräder stehen. Ab 2010 seien die Erfolge im
Klimaschutz sehr erfolgreich gewesen. Sehr glücklich wären darüber auch
die Enkel der ehemaligen Schülerinnen und Schüler der Walther-Groz-Schule
in Ebingen ...
"... die 40 Jahre zuvor die gute Idee hatten, eine zukunftsweisende Vision
für die Welt im Jahr 2050 zu entwerfen und zu leben."
Thomas Lawall - August 2010
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